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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 22.12.2000
Aktenzeichen: 7 U 110/00
Rechtsgebiete: VVG
Vorschriften:
VVG § 62 |
Der Schaden, den der Versicherungsnehmer gemäß § 62 VVG abzuwenden oder zu mindern hat, ist der, der an den versicherten Gütern oder Interessen direkt entstehen kann oder bereits entstanden ist.
Oberlandesgericht Stuttgart - 7. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil
Geschäftsnummer: 7 U 110/00 3 O 244/00 LG Ravensburg
Verkündet am: 22.12.2000
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (Mezger) Justizangestellte
wegen Forderung
hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 II ZPO aufgrund der bis 20.12.2000 eingegangenen Schriftsätze unter Mitwirkung
des Vors. Richters am OLG Gramlich,
des Richters am OLG Uebe,
des Richters am LG Haberstroh
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Berufung gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichtes Ravensburg vom 20.04.2000 wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von DM 10.000,00 abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Streitwert der Berufung und Wert der Beschwer für die Klägerin: 67.794,99 DM.
Tatbestand:
Die klagende Rechtsschutzversicherung begehrt von der beklagten Versicherungsnehmerin die Erstattung der direkt an die Rechtsanwälte der Beklagten bezahlten Honorare.
Die Beklagte ist bei der Klägerin rechtsschutzversichert. Dem Vertrag liegen die allgemeinen Rechtsschutzversicherungsbedingungen (ARB) zu Grunde.
Die Beklagte hatte am 08.07.1996 in Zürich eine Signalanlage, die bereits 10,6 Sekunden Rot gezeigt hatte, übersehen. Die Beklagte war der Ansicht, dass ihr Verhalten nicht als grober Verkehrsverstoß im Sinne des geltenden Schweizer Rechtes zu werten sei.
Die Klägerin erteilte der Beklagten Deckungszusage zur Verteidigung gegen einen erlassenen Strafbefehl wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln und der Verhängung einer Geldbuße von 1.500,00 Franken.
Die Beklagte hatte mit ihren Züricher Anwälten eine Abrechnung auf der Basis eines Stundensatzes von 240,00 Franken zuzüglich Mehrwertsteuer vereinbart. Die Klägerin war hiermit einverstanden und erteilte Deckungszusage. Die von den Rechtsanwälten der Beklagten eingelegten Rechtsmittel vor dem Strafgericht und vor dem Obergericht des Kantons Zürich blieben erfolglos.
Die Rechtsanwälte der Beklagten sandten ihre Vorschussnoten (einschließlich verauslagter Kosten für ein Sachverständigengutachten) direkt an die Klägerin. Diese zahlte hierauf im Zeitraum vom 15.07.97 bis 03.07.98 insgesamt 67.794,99 DM. Die letzte Zahlung erfolgte, nachdem die Rechtsanwälte der Beklagten der Klägerin eine detaillierte Aufstellung der geleisteten Anwaltsstunden in der Zeit vom 10.02.1998 bis 13.07.1998 übersandt hatten. Der behauptete Zeitaufwand der Rechtsanwälte der Beklagten belief sich bis zu diesem Zeitpunkt auf insgesamt etwas über 190 Stunden.
Nach Abschluss der Gerichtsverfahren in der Schweiz stellte die Klägerin dann bei einer Sachprüfung fest, dass sie für die Verteidigung gegen den Vorwurf eines folgenlos gebliebenen Rotlichtverstoßes insgesamt nahezu 70.000,00 DM bezahlt hatte.
Sie stellte einen Antrag an die Honorarkommission des Züricher Anwaltsverbandes. In diesem Verfahren können auf verbandsinterner Ebene strittige Honorarrechnungen begutachtet werden. Der Entscheid ist nicht durchsetzbar. Eine der Voraussetzungen dieses Verfahrens ist, dass die Rechtsanwälte von der Einhaltung ihres Berufsgeheimnisses entbunden werden.
Die Beklagte hatte eine solche Erklärung zunächst auf Veranlassung der Klägerin abgegeben, diese dann aber im weiteren Verlaufe widerrufen. Zur Begründung dieses Widerrufes hatte sie ausgeführt, sie sei von der Klägerin unter Druck gesetzt worden.
Das Verfahren vor der Honorarkommission wurde daraufhin eingestellt. Es wurde dann vom Züricher Anwaltsverband gegen die Schweizer Rechtsanwälte der Beklagten ein Verfahren vor dem Obergericht des Kantons Zürich - Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich - eingeleitet. Der Ausgang dieses Verfahrens wurde hierher nicht mitgeteilt.
Die Klägerin war durch den Entzug der bereits erteilten Entbindung ihrer Rechtsanwälte von der Wahrung des Berufsgeheimnisses im Verfahren vor der Honorarkommission nie gehindert, ein ordentliches Verfahren vor den Schweizer Zivilgerichten auf Rückzahlung der an die Rechtsanwälte der Beklagten gezahlten Beträge einzuleiten. Nach dem Vortrag der Klägerin, dem die Beklagte nicht widersprochen hat, verspricht aber ein solches Vorgehen kaum Erfolg, da den Schweizer Rechtsanwälten der Beklagten nur ein übermäßiger Aufwand vorzuwerfen sei, das Honorar aber weitgehend in Kenntnis des getätigten Aufwandes von der Klägerin bezahlt wurde.
Die Beklagte hat ihre Schweizer Rechtsanwälte nunmehr auch wieder von der Wahrung des Berufsgeheimnisses entbunden.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte habe durch den Widerruf der bereits erteilten Schweigepflichtsentbindung im Verfahren vor der Honorarkommission gegen sich aus dem Versicherungsverhältnis ergebende Obliegenheiten verstoßen. Die Beklagte habe die Klägerin durch den Widerruf arglistig getäuscht und sie vorsätzlich sittenwidrig geschädigt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 67.794,99 DM nebst 7 % seit Klagzustellung zu bezahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass eine Obliegenheitsverletzung nicht vorliege. Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen Bezug genommen.
Mit seinem Urteil vom 20.04.2000 ist das Landgericht Ravensburg der Rechtsauffassung der Beklagten gefolgt. Die Klage wurde abgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin frist- und formgerecht Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, dass die Beklagte nicht nur eine nachvertragliche Nebenpflicht, sondern eine die Beklagte aus dem Versicherungsverhältnis treffende Obliegenheit verletzt habe.
Sie behauptet, die Schweizer Rechtsanwälte der Beklagten hätten sich dem Entscheid der Honorarkommission vermutlich freiwillig unterzogen im Hinblick auf die Möglichkeit, dass der Anwaltsverband gegen sie ein Verfahren vor dem verbandsinternen Standesgericht eröffnen und zusätzlich Anzeige an die Aufsichtskommission des Obergerichtes erstatten hätte können.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landgerichtes Ravensburg vom 20. April 2000 zu AZ: 3 O 244/2000 abzuändern und der Klage vollumfänglich stattzugeben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil mit den bereits erstinstanzlich vorgetragenen Argumenten.
Sie weist daraufhin, dass die Klägerin selbst einräume, an einer Zivilklage gegen die Züricher Rechtsanwälte der Beklagten nie gehindert gewesen zu sein.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die Schriftsätze der Parteivertreter Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet.
Ein Anspruch der Klägerin besteht nicht.
Ein solcher ergibt sich weder aus der behaupteten Obliegenheitsverletzung (1) noch aus der Verletzung einer allgemeinen Treuepflicht (2); ein Anspruch aus § 826 BGB ist ebenfalls nicht gegeben (3).
1.)
Die Klägerin stützt ihre Klage auf behauptete Obliegenheitsverletzungen. Die Verletzung von Obliegenheiten führt aber nicht ohne weiteres zu einem direkten Zahlungsanspruch des Versicherers gegen den Versicherungsnehmer. Die Rechtsfolgen bei Verletzung von Obliegenheiten sind in § 6 VVG geregelt. Danach wird der Versicherer unter den dort genannten Voraussetzungen von der Pflicht zur Leistung gegenüber dem Versicherungsnehmer frei. Die Klägerin hat die Versicherungsleistung bereits erbracht, ein Anspruch könnte sich daher nur aus ungerechtfertigter Bereicherung ergeben.
a)
Die Beklagte hat durch den Widerruf der Entbindung ihrer Anwälte vom Berufsgeheimnis nicht gegen die in § 15 ARB dargestellten Obliegenheiten verstoßen. Dies hat das Landgericht zutreffend ausgeführt; hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Die in § 15 ARB und § 34 VVG geregelte Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers betrifft nur den Gegenstand des Rechtsstreites für den Rechtsschutz gewährt wird, hier also die Umstände, die zum Strafbefehl wegen eines Rotlichtverstoßes geführt haben.
§ 15 ARB verpflichtet den Versicherungsnehmer nicht, dem Versicherer zu ermöglichen, in einem verbandsinternen Verfahren vor der Rechtsanwaltskammer die Angemessenheit des geltend gemachten Rechtsanwaltshonorars überprüfen zu lassen.
b)
Die Klägerin hat hier von der Beklagten keinerlei Auskunft verlangt. § 34 VVG ist hier daher nicht einschlägig. Im Rahmen der begehrten Mitwirkung bei der Feststellung der Angemessenheit des Honorars verlangte die Klägerin keine Auskünfte, sondern die Entbindung der Rechtsanwälte der Beklagten von der Wahrung des Berufsgeheimnisses. Eine analoge Anwendung des § 34 VVG auf die hier vorliegende Fallkonstellation ist nicht geboten. Die Klägerin ist zur Feststellung der Angemessenheit des abgerechneten Honorars nicht auf die Feststellungen der angerufenen Honorarkommission angewiesen. Die Entscheidungen der Honorarkommission sind nicht verbindlich.
c)
Die von der Klägerin behauptete Pflicht der Beklagten, an der Rückforderung des von der Klägerin an die Schweizer Rechtsanwälte der Beklagten bereits bezahlten Honorars mitzuwirken, fällt nicht unter § 62 VVG.
Unter Schaden im Sinne dieser Vorschrift sind nicht allgemein alle Aufwendungen des Versicherers anläßlich des Eintrittes des Versicherungsfalles zu fassen. Der Schaden, den der Versicherungsnehmer abzuwenden oder zu mindern hat, ist der an den versicherten Gütern oder Interessen (siehe Prölls/Martin, 26. Auflage, § 62 RZ 18), hier also die durch die Verteidigung gegen den Vorwurf des groben Verkehrsverstoßes veranlassten Rechtsanwalts- und Verfahrenskosten. Darunter fällt somit nicht der Schaden, der dadurch entsteht, dass die Klägerin bei der Rückforderung etwa versehentlich zu viel bezahlter Anwaltshonorare nicht mitwirkt.
§ 62 VVG statuiert nicht die allgemeine Obliegenheit, den Umfang der von der Versicherung zu leistenden Entschädigung auch auf andere Weise als durch Minderung des versicherten Schadens zu reduzieren (siehe hierzu Prölls/ Martin, 26. Auflage, § 62 RZ 18).
Im Übrigen kann hier nicht davon ausgegangen werden, dass die begehrte Mitwirkung an dem Verfahren vor der Honorarkommission zu einer Rückzahlung des bezahlten Honorars geführt hätte, dies vermutet die Klägerin nur.
2.)
Der Klägerin steht kein Anspruch aus positiver Forderungsverletzung wegen einer Verletzung einer allgemeinen Treuepflicht durch die Beklagte zu.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte durch den Widerruf der bereits erteilten Entbindung ihrer Rechtsanwälte vom Berufsgeheimnis gegen eine sich aus dem Versicherungsverhältnis ergebende allgemeine Treuepflicht verstoßen hat. Die Klägerin hat jedenfalls einen sich daraus ergebenden Schaden nicht bewiesen.
Die Beklagte hat durch ihren Entzug der bereits erteilten Schweigepflichtsentbindung einen Entscheid der Züricher Honorarkommission verhindert. Dieser Entscheid wäre aber nicht durchsetzbar gewesen.
Die Vermutung der Klägerin, die Schweizer Rechtsanwälte der Beklagten hätten sich einem Entscheid der Honorarkommission freiwillig gebeugt, weil der Anwaltsverband andernfalls die Möglichkeit gehabt hätte, gegen sie ein Verfahren vor dem verbandsinternen Standesgericht zu eröffnen, findet im tatsächlichen Verhalten der Anwälte der Beklagten keine Stütze.
Das angesprochene Verfahren vor der Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich wurde auch ohne das Vorliegen eines Entscheides der Honorarkommission vom Züricher Anwaltsverband eingeleitet (Anlage B 7). Dies führte aber nicht zu einem Einlenken der Schweizer Rechtsanwälte. Sie bringen in einer Stellungnahme im Gegenteil zum Ausdruck, dass die Entscheide der Honorarkommission wegen ihrer unrealistischen Sichtweise in Anwaltskreisen eher belächelt, denn ernst genommen würden. Jeder zweite Entscheid sei nach Aussage eines langjährigen Vorstandsmitgliedes ohnehin "daneben". Hinzu kommt, dass nach Ansicht der Klägerin auf zivilrechtlichem Wege vor einem Schweizer Gericht ein Rückforderungsanspruch unter anderem deshalb kaum durchsetzbar erscheint, weil sie die Zahlungen weitgehend in Kenntnis des getätigten Aufwandes geleistet hat. Bei dieser Sachlage erscheint es jedenfalls unwahrscheinlich, dass die Schweizer Rechtsanwälte nach einem Entscheid der Honorarkommission freiwillig das bereits erhaltene Honorar zurückbezahlt hätten.
Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus positiver Forderungsverletzung wegen Verletzung einer behaupteten Treuepflicht scheitert daher deshalb, weil die Klägerin nicht beweisen kann, dass ihr durch das Verhalten der Beklagten ein Schaden entstanden ist.
3.)
Ein Anspruch aus § 826 BGB ist ebenfalls nicht gegeben.
Die Klägerin konnte schon nicht beweisen, dass ihr durch den Entzug der Schweigepflichtsentbindung ein Schaden entstanden ist.
Die Berufung war mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Ende der Entscheidung
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